Woher kam die Idee zu SMOKE SAUNA SISTERHOOD?
Ich stamme aus dem Südosten Estlands, genauer gesagt aus den Regionen Võromaa und Setomaa, wo die Tradition der Rauchsaunen immer noch sehr lebendig ist. Nicht zu Unrecht wurde sie von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt. Die Rauchsaunen sind Orte, an denen Frauen Heilung finden. In früheren Zeiten wurden dort sogar Kinder geboren und Totenwaschungen durchgeführt. Dieses Wissen hat mir meine Großmutter weitergegeben. Seit meiner Kindheit wusste ich also, dass es einen Ort gibt, wo ich meine Gefühle und Erfahrungen teilen kann, ohne dafür verurteilt zu werden. Die konkrete Idee zum Film kam mir 2015. Ich war gerade mit meiner Mutter in einem buddhistischen Kloster auf einer Schweigekur, um unsere Beziehung zu verbessern, da wir ein recht schwieriges Verhältnis hatten. Nach 26 Tagen in vollkommener Stille fand ich meine eigen Stimme und erkannte, wie wichtig es für den Heilungsprozess ist, seine Erfahrungen und Geschichten zu teilen. Man kann sagen, dass ich in diesen Tagen meine Stimme fand. Wir denken oft an unsere innere Stimme, aber was genau ist sie? Wem gehört sie? Haben wir wirklich eine Verbindung zu ihr und hören wir auch zu? Und wagen wir es auch, anderen zuzuhören? Ich verband diese Erfahrung mit meinen Erfahrungen in der Rauchsauna und machte einen Film daraus.
Wann warst Du zum ersten mal in einer Rauchsauna und wie war das?
Da war ich 11 Jahre alt. Mein Großvater war gestorben, sein Körper lag in unserem Haus und meine Großmutter ging mit mir, meiner Tante und Cousine in die Rauchsauna. Dort sprach sie zum ersten und einzigen Mal darüber, dass mein Großvater sie betrogen hatte. Sie ließ ihrer Wut und ihren verletzten Gefühlen freien Lauf, machte ihren Frieden mit ihrem Mann und beerdigte ihn am nächsten Tag liebevoll. An diesem Tag verstand ich, dass die Saunen nicht nur zur Reinigung des Körpers da waren, sondern auch der Seele. Ich verstand, dass man dank der Unterstützung der anderen all diesen Ballast im Dunkeln herauslassen und wegwaschen kann. Diese Erfahrung und Ermutigung wollte ich an das Publikum weitergeben.
Worin liegt die kathartische Kraft der Rauchsauna?
Die Rauchsauna ist eingebettet in einen größeren spirituellen Kontext. Sie hat ihre Wurzeln in einer tiefen Naturverbundenheit, in der die Zeit nicht linear verläuft, sondern zyklisch, angelehnt an die natürlichen Zyklen der Jahreszeiten. Für unser Volk ist die Rauchsauna ein heiliger Ort, sie ist Subjekt und nicht Objekt. Wenn du hineingehst, begrüßt du den Raum als Lebewesen. Es ist ein Ort, an dem sich Leben und Tod begegnen. Den Steinen, die als Hitzespeicher genutzt werden, wird eine heilende Wirkung nachgesagt. Es gibt eigene Saunagesänge, und Worte, die man nur dort sagt. Die estnische Kultur legt immensen Wert auf Wortwahl. Wenn man etwas sagt, formt man die Welt um sich herum. Genau so kann man sie aber auch mit Worten zerstören. Diese kulturellen Wurzeln habe ich von meiner Großmutter weitergegeben bekommen. Für mich ist die Rauchsauna wie eine Art Gebärmutter. Es ist dunkel, warm und feucht und man ist nackt – exakt wie bei der Geburt. Es ist ein transformativer Ort, an dem immer ein Teil von dir stirbt und wiedergeboren wird. Ein Saunagang kann bis zu vier Stunden dauern, in denen man schwitzt und immer mehr körperlichen und seelischen Ballast ablegt. Die Dunkelheit ist ebenfalls ein sehr wichtiger und unterbewusster Faktor dabei. Man kann in ihr seine üblichen Masken ablegen und sich selbst neu erschaffen, indem man redet, zuhört, nachdenkt und nicht urteilt.
Kanntest Du die Protagonistinnen von SMOKE SAUNA SISTERHOOD bereits vor dem Dreh und wie hast Du die Geschichten ausgewählt, die im Film gezeigt werden?
Manche kannte ich bereits, aber nicht alle. Manche waren bereits Freundinnen von mir, andere wurden es in den sieben Jahren, die es von der Idee bis zum Film dauerte. Ich traf sie, fühlte eine Verbindung und lud sie ein mitzumachen. Einige kamen auch auf mich zu. Ich handle bei diesen Dingen sehr intuitiv und transparent. Wir machten einige Testaufnahmen und zeigten, wie wir drehen, was wir ansprechen wollen und was für eine Art Film es sein würde. Ich erklärte ihnen, dass mir Ehrlichkeit sehr wichtig sei. Ich wollte niemanden von irgendetwas überzeugen. Ich wollte nur Frauen dabei haben, die das auch wirklich wollten. Ich gestand ihnen auch beim Schnitt ein Vetorecht zu. Um einen solchen Film zu machen, ist eine gewisse Verwundbarkeit unabdingbar, daher geht es nicht ohne Vertrauen. Dieses Vertrauen ist das höchste Gut eines Dokumentarfilms und ich freue mich sehr, dass mir die Frauen vertraut haben. Alle Geschichten, die der Film zeigt, wurden wirklich so beim Dreh erzählt, nichts nachträglich verändert. Ich wusste, dass manche der Frauen Dinge erzählen würden, die sie bisher noch nie offen ausgesprochen hatten. Ich vermied aktiv Gespräche vor der Sauna. Ich bat sie auch, ihre Geschichten nicht bereits vorher miteinander zu teilen, um nichts vorweg zu nehmen.
Hast Du noch Kontakt mit den Protagonistinnen?
Ja. Das gehört bei einem derart intimen Projekt dazu, dass man auch nach dem Dreh da ist und den Prozess begleitet. Das lernt man zwar nicht auf der Filmschule, aber nur so kann man einen derart kraftvollen Film machen. Ich band die Frauen also auch in den Schnitt mit ein und holte mir bei jedem Produktionsschritt ihre Meinung ein. Alle haben SMOKE SAUNA SISTERHOOD ihren Segen gegeben und sind glücklich über die Art, wie ihre Geschichten geteilt wurden. Kadi Kivilo, die Frau, die sich um die Saunen kümmert, war auch auf dem Sundance Film Festival mit dabei.
Wie lange dauerten die Dreharbeiten und wie oft wart Ihr dafür in der Sauna?
Es dauerte sieben Jahre, den Film fertig zu stellen. Während dieser Zeit drehten wir immer wieder. Manche Jahre häufiger, andere nicht. Rauchsaunen unterscheiden sich von den klassischen Saunen in der Hinsicht, dass es keinen Schornstein gibt. Man heizt sie für etwa 6 Stunden vor. Dann geht man hinein und schließt die Türen. Man legt kein Holz nach und macht auch nicht nochmal Feuer. Dort bleibt man dann etwa vier Stunden, manchmal sogar länger. Dann geht man an die frische Luft. Diese vier Stunden haben wir immer komplett gedreht, das mussten wir einfach. Ich kann nicht sagen, wie oft wir in der Sauna waren, aber es war sehr, sehr oft. In manchen Jahren mietete ich ein Landhaus und lebte vom Herbst bis Frühling im Wald und die Filmcrew stieß oft mehrere Tage oder sogar Wochen dazu.
Sind alle Geschichten, die im Film erzählt werden, wahr?
Das fragen mich viele Menschen. Sie sagen, alles wirkt zu extrem, um wahr zu sein. Aber es ist alles wahr. Einmal habe ich versucht, eine Geschichte ein zweites Mal aufzunehmen, weil es beim ersten Take ein technisches Problem gab, aber das hat gar nicht funktioniert. Man kann eine solche Geschichte nicht reproduzieren. Es wirkte sofort unecht. Es macht micht sehr traurig festzustellen, dass ausnahmslos alle von uns Missbrauch oder Belästigungen in irgendeiner Form erlebt hatten. Es überraschte mich, wie universal und kollektiv diese Erlebnisse waren. Wichtig hier war mir aber zu zeigen, dass sich diese Misshandlungen nicht an Geschlechtern festmachen lässt. Viele der Frauen erlebten die gleichen verletzenden Worte und Ansichten von ihren Müttern. Gleichzeitig war ich zutiefst erstaunt, welch heilende Wirkung diese Schwesternschaft im Geiste haben kann. Von einer der Frauen, die sehr häufig dabei war, lernte ich, was Zuhören wirklich bedeutet und wie mutig es ist, die Aussagen anderer Frauen wertzuschätzen.
Die Kameraführung ist sehr intim und ehrlich. Wie haben Du und dein Kameramann das geschafft?
Ich komme eigentlich aus der Fotografie. Ich erinnere mich an eine meine ersten Vorlesungen. Unser Professor holte seine Kamera heraus und sagte: „Jeder, der ernsthaft glaubt, diese Ding hier nimmt die objektive Realität auf, ist entweder naiv oder versteht nichts von Kameras.“ Er zeigte die Kamera herum und erklärte, dass es bereits subjektiv ist, wo wir sie aufstellen und was wir fokussieren bzw. ausblenden. Außerdem haben wir immer unseren eigenen Blick auf die Welt. Die Frage ist nur, ob wir uns dessen bewusst sind. Mir war es sehr wichtig, weibliche Nacktheit jenseits von Sexualisierung und Objektifizierung zu zeigen. Wir machten viele Tests und wählten genau aus, wie wir die Frauen zeigen wollten. Von einem technischen Standpunkt aus war es sehr schwer, in der Sauna zu filmen. Die Temperatur liegt bei 80 °C. Es herrscht hohe Luftfeuchtigkeit und es ist dunkel. Stundenlang in der Hitze zu stehen und ein Mikrofon zu halten ist kein Zuckerschlecken. Der Kameramann Ants Tammik und der Tonmann Tanel Kadalipp haben ein eigenes Kühlsystem für die Technik gebaut. Es war immer ein Assistent mit Eis und Trinkwasser in der Nähe. Wir mussten alle zwei Stunden die Linse wechseln und sie auch jedes Mal vorher an die Raumtemperatur akklimatisieren, bevor man sie einsetzte, damit sie nicht zersprang. Ich bin meinem Team sehr dankbar, dass sie all diese Extreme mit mir durchgestanden haben. Andere Kollegen haben mir gesagt, dass es unmöglich ist, in einer heißen Sauna zu drehen und dass wir die Temperatur senken müssen. Ich war aber zu stur, um nachzugeben und setzte meine Ideen durch. Auch meiner Produzentin Marianne Ostrat bin ich hier sehr dankbar, dass sie uns diese Freiheiten ermöglicht hat. Am Ende haben wir zwei Linsen und einen Kontrollmonitor an Hitze und Feuchtigkeit verloren, aber die Kameras selbst blieben heil und funktionierten einwandfrei. Ants hatte ein paar Verluste bereits eingeplant und entsprechend vorgesorgt.
Warum liegt der Fokus der Kamera sehr häufig auf den Körpern der Frauen und nicht auf ihren Gesichtern?
Als ich mit dem Film anfing, gab es noch keine MeToo-Bewegung und die Frauen waren sehr vorsichtig damit, ihr Gesicht zu zeigen. Mittlerweile bereuen das einige von ihnen. Für den Film funktioniert das aber sogar besser so, denn es behält den Fokus auf den Körpern. Diese sind wie eine Landschaft der Erinnerung. Das war für mich eine Stärke des Films, da es sehr gut zu den Rauchsaunen passt. Denn auch dort sieht man wegen der Dunkelheit häufig keine Gesichter. Die Sauna ist wie eine Art Beichtstuhl. Es ist sogar wichtig, dass man sich nicht in die Augen sehen kann und gar nicht genau weiß, mit wem man gerade spricht, wenn man seine innersten Empfindungen teilt. Die Frauen, die ihr Gesicht zeigen wollten, habe ich aber nicht daran gehindert. Es fühlte sich eben an wie eine Parallele zu unserer Gesellschaft: Viele wollen sich verstecken, manche wollen sich präsentieren. Toll war, dass nachdem der Film in Estland gestartet war, viele der gesichtslosen Frauen Screenshots posteten und sagten: „Das bin ich! Das ist mein Rücken!“ Sie zogen also mentale Stärke aus ihrer Beteiligung an dem Projekt. Außerdem passt die Darstellung sehr gut ins Kino, da es auch dort sehr dunkel ist und die Erfahrung des gemeinsamen Filmeschauens gar nicht so unähnlich ist zur Rauchsauna.
Welche Relevanz hat SMOKE SAUNA SISTERHOOD für die weibliche Solidarität?
Überall, wo ich hinkomme, verbinden die Menschen persönliche Erlebnisse mit dem Film und sehen sich am Ende als Teil der Gemeinschaft. Wir denken oft, dass wir mit unseren Problemen alleine da stehen, aber sehr oft erkennen wir uns in den Geschichten anderer wieder. Das schafft ein Gefühl der Schwesternschaft und der Solidarität. Wir müssen aufhören, miteinander zu konkurrieren und uns stattdessen ermutigen und unterstützen. Das können wir nur, wenn wir verstehen, dass wir nicht alleine sind und beginnen über uns zu sprechen. Jede Stimme ist von einzigartiger Schönheit und hat ihren Platz. Wir sehnen uns doch alle nach einem Ort, an dem wir echte Verbindungen schaffen können. SMOKE SAUNA SISTERHOOD ist dieser Ort.
Filme über weibliche Erfahrungen und Traumata sind derzeit sehr in Mode. Gibt es dennoch blinde Flecken in diesem Bereich und warum ist die Sauna der richtige Ort, darüber zu sprechen?
Wir sind als Gesellschaft durchaus gewachsen und reden offener über diese Dinge, aber es liegt noch ein weiter Weg vor uns. Wenn mir jemand sagt, wir müssen über ein Thema sprechen, aber bloß nicht zu viel, dann wirkt das auf mich wie sanfte Zensur. Da bin ich strikt dagegen. Eine Person aus meinem Umfeld riet mir, die Geschichte über die Vergewaltigung zu implizieren, aber nicht ausdrücklich im Film zu erwähnen. Blinde Flecken entstehen oft aus Angst oder Scham. Die Rauchsauna ist ein sicherer Ort, an dem diese Sorgen nicht existieren. Hier ist nichts zu schlimm oder schmerzhaft, um darüber zu sprechen. So verschwinden die blinden Flecken mit der Zeit. Nach den Vorstellungen kommen oft Menschen auf mich zu mit Tränen in den Augen und entschuldigen sich dafür, dass sie weinen. Das rede ich ihnen immer aus. Wir sollten uns nicht für unsere Tränen schämen und uns für unsere Gefühle entschuldigen.
SMOKE SAUNA SISTERHOOD hatte auf dem Sundance Film Festival seine Premiere und Du hast dort den Preis als beste Regisseurin in der Kategorie „World Cinema Documentary Competition“ gewonnen. Wie war das für Dich?
Über die sieben Jahre, die ich an dem Film gearbeitet habe, habe ich gelernt, meiner inneren Stimme zu vertrauen. Ich lasse mich nicht gerne in Schubladen stecken, auch wenn ich in meiner Jugend oft versucht habe, es allen Recht zu machen. Das hat aber nie funktioniert. Der Preis auf dem Sundance Film Festival war wie ein Geschenk, das mir sagen sollte: „Mach weiter, Anna. Du bist auf dem richtigen Weg“.